"Vielfalt trotz Einheit"

Ein Plädoyer gegen die Festlegung einer Arbeitssprache in der EU 

  „And they said, Go to, let us build us a city and a tower, whose top may reach unto heaven; and let us make us a name, lest we be scattered abroad upon the face of the whole earth. […] maintenant rien ne les empêcherait de faire tout ce qu’ils auraient projeté.. […] So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen. Uaidh sin ar aghaidh, ainmníodh an Bhaibéil é, toisc gurb ansin a chuir an Tiarna teanga an domhain uilig trína chéile agus a scaip í, ón áit sin, i measc na dtíortha go léir.“                                                                                                                    (Genesis, Kap.11) 

Die Fertigstellung des „Turms zu Babel“ scheiterte somit aufgrund der Vielsprachigkeit. Jenes biblische Bauvorhaben aus Genesis (Kapitel 11) mag vielen Europäern in den Sinn gekommen sein, als am 1. Januar 2007 Irisch als nunmehr 23. Amtssprache der Europäischen Union aufgenommen wurde.

     Eine kleine Rückblende - Im Frühling 1958 nahm der Ministerrat die Verordnung Nr. 1 an,  wodurch damals die Amtssprachen jedes Mitgliedstaates gleichermaßen auf die Europäische Union übertragen wurden. Es wurde dabei offiziell keine Unterscheidung zwischen Amts- und Arbeitssprache vorgenommen. Durch Beitritte neuer Länder wurden die Artikel immer wieder aufs Neue angepasst und somit wuchs auch die Anzahl der Amtssprachen. An dieser Verfahrensweise hat sich bis heute nichts geändert. So lässt es sich erklären, dass Irland als Mitglied der EU auch Irisch, die zweite nationale Amtssprache neben Englisch, auf die europäische Ebene übertragen konnte. Eine notwendige Schlussfolgerung aus dieser rechtlichen Grundlage lautet, dass die Zahl der derzeitigen 23 Amtssprachen vor dem Hintergrund zukünftiger Beitrittsländer keine Endstation darstellt.

     Sowohl einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments als auch Beamte der Europäischen Kommission verweisen jedoch darauf, dass die politische Arbeit auf europäischer Ebene zunehmend durch Sprachdifferenzen behindert wird, wodurch auch die Erfolgswelle der EU ins Stocken geraten könnte. Es wurde daher zugunsten der Verwaltung bereits mehrfach der Vorschlag suggeriert, eine einzige Arbeitssprache in den Institutionen der Europäischen Union einzuführen, um solche „entscheidenden Behinderungen“ zu bewältigen. Ist diese Idee sinnvoll und lässt sie sich umsetzen? Lässt sich die EU wirklich mit dem Turm zu Babel vergleichen, so dass durch die Festlegung einer einzigen institutionellen Sprache die wesentlichen Probleme Europas gelöst werden können? 

Argumente für eine solche Reform lassen sich schnell finden. Zunächst einmal konnten unsere europäischen Vorväter kaum mit einem derartigen Erfolg der EU rechnen. Ebenso war  die Masse der heutigen Mitgliedsstaaten nicht voraussehbar. Demzufolge ist die Entscheidung zugunsten mehrerer Amts- bzw. Arbeitssprachen in der Verordnung Nr.1 aus Sicht der Befürworter einer Sprachreform überholt und mit den heutigen Umständen nicht mehr zu vereinbaren. Ein wichtiges Argument für die Einführung einer Arbeitssprache ist der aus den Sprachdifferenzen entstehende Kostenfaktor. Seit der EU-Osterweiterung gibt es zwischen den Sprachen 253 mögliche Übersetzungskombinationen. In Verbindung damit werden die Ausgaben für die Überbrückung der verschiedenen Sprachen in diesem Jahr vermutlich auf über 800 Mill. € ansteigen. Diese Summe ergibt, praktisch gesprochen, auf den einzelnen EU-Bürger gerechnet einen Betrag von etwa 2,10€. Des Weiteren gibt es aufgrund des Umfangs und der übermäßigen Anzahl der Dokumente enorme Verzögerungen bei der Bearbeitung und Weiterleitung selbiger. In einigen Fällen beträgt die Zeitspanne zwischen der Ankunft eines Textes im Übersetzungsbüro bis zur Ausformulierung in alle gewünschten Sprachen bis zu drei Wochen. Da diese Dokumente jedoch oft eine Abstimmungsgrundlage widerspiegeln, können sich auch diese mindestens um den gleichen Zeitraum verzögern. Bei der Übersetzung selbst liegt sicherlich auch ein inhaltliches Problem vor, denn überall dort, wo Informationen aus einer Sprache in eine andere übertragen werden soll, können Übersetzungsfehler auftreten, selbst wenn man bei den Dolmetschern ein gewisses Maß an Fachkenntnis voraussetzen kann. Neben der Gefahr der „Lost in Translation“ ist ein weiteres mögliches Argument, dass die Einführung einer einzigen Arbeitssprache Europa eine „geschlossene“ Stimme gegenüber dem Rest der Welt geben würde. Diese  Stimme scheint auf den ersten Blick leicht gefunden, schließlich wird im internationalen „Small-Talk“, also dort wo kein Dolmetscher die Sicherung der Mehrsprachigkeit schützen kann, bereits seit langem auf Englisch zurückgegriffen. 

Doch so einleuchtend diese Vorstellung auch klingen mag, genau an diesem Punkt zeigt sich bei den „Reformisten“ ein entscheidendes Problem – die Suche nach einer gemeinsamen Sprache. Zwar ist English die am häufigsten erlernte Zweitsprache Europas (mittlerweile lernen 89% der europäischen Schulkinder die Sprache Shakespeares), doch rechtfertigt das aus Sicht vieler Länder nicht dessen politische und administrative Alleinherrschaft. Die französische Sprache, die ebenfalls eine faktische Arbeitsprache, zudem aber auch eine Gründungssprache der EU ist, sieht sich bereits jetzt unter einem großen Einfluss der englischen „Lingua Franca“. Die dritte etwas „benachteiligte“ inoffizielle Arbeitssprache ist Deutsch, mit ca. 93 Mio. Sprechern die Sprache mit den meisten Muttersprachlern in Europa. Alleine schon vor dem Hintergrund nationaler Eitelkeit erscheint es daher als unrealistisch, dass die Masse der Anhänger eben genannter Sprachen freiwillig die eigene „kommunikative Identität“ zugunsten einer anderen aufgeben würde. Es bleiben zudem weitere 20 Sprachen, die ihren Anspruch erheben könnten, um sich als einzige Arbeitssprache zur Verfügung zu stellen. Einige Länder, wie z.B. Spanien sehen bereits in der bestehenden Sprachregelung, also der praktischen Bevorzugung von Englisch, Französisch und im geringen Maße Deutsch als faktische Arbeitssprache einen Ausdruck des Machtgefälles zwischen Nord- und Südeuropa. Die Krönung einer der jetzigen Arbeitssprachen zur alleinigen und die damit verbundene Degradierung aller anderen Sprachen wäre eine Ungerechtigkeit, die sich mit einem Staatenbund wie der Europäischen Union nicht vereinbaren lässt.  

Der Alternativvorschlag ließ nicht lange auf sich warten - die Esperanto-Bewegung sieht in dem sprachlichen Konflikt der EU eine Möglichkeit um einer „unabhängigen“ Sprache auf den Thron Europas zu verhelfen. Doch genau da liegt aus meiner Sicht das Problem, in dem Wort „unabhängig“. Esperanto ist eine artifizielle Sprache, die von den Menschen zur Überwindung der nationalen Eitelkeit geschaffen wurde und bisher keinen entscheidenden Einfluss auf die europäische Kultur hatte. Eine solche Sprache sollte nicht jene Kulturen repräsentieren, mit denen sie nicht nennenswert kulturell oder historisch verbunden ist. Einen ähnlichen Vorwurf der „Kulturentfremdung“ kann man auch dem Vorschlag machen, der die Einführung chinesischer Schriftzeichen als Arbeitssprache der EU suggeriert. Solche Ansätze können Europa nicht voran bringen. Schließlich wird der Institution bereits jetzt mangelnde Bürgernähe vorgeworfen. Dieses Argument wird sicherlich nicht dadurch entkräftet, dass ein einfacher Landwirt aus Lappland zukünftig die Richtlinienvorschläge der EU-Kommission erst aus dem Esperanto ins Schwedische übersetzen muss. Allgemein wäre die Einführung einer Arbeitssprache und die damit verbundene Degradierung anderer Sprachen vor dem politischen Hintergrund denkbar unklug. Die Bevölkerung in Ländern wie z.B. Schweden oder Finnland steht zu einem großen Teil der EU skeptisch gegenüber, weil sie die Entkräftung nationaler Interessen zugunsten derer von anderen Staaten fürchtet. Die Abschaffung der eigenen Sprache könnte als ein zusätzlicher Verlust an Identität in diesem supranationalen Projekt gesehen werden, was somit zu einem enormen Prestigeverlust der EU führen würde. 

Zusätzlich zu dem Aspekt der Bevölkerung kommt noch die Rolle der Politiker und Beamten selbst. Sie sind letztendlich diejenigen, die mit einer Arbeitssprache aktiv kommunizieren müssen. In den Institutionen der EU verfügen die meisten Abgeordneten und Angestellten über Kenntnisse in mehreren Fremdsprachen. Da sich in der Englischen Sprache das Fremdsprachenwissen der meisten Politiker überschneidet, können sich diese ohne größere Schwierigkeiten mit Kollegen aus anderen Ländern unterhalten. Das eigentliche Problem lässt sich vermutlich durch eine Formulierung des irischen Dramatikers George Bernard Shaws am besten ausdrücken, der sagte: “English is the first language to speak badly.“ Das bedeutet, dass sobald ein Politiker gezwungen ist über den Rahmen eines einfachen Gesprächs hinaus seine Reden in einer anderen Sprache zu halten, ist er genötigt diese auch perfekt zu beherrschen, nicht nur um seine Kollegen von seinen Argumenten zu überzeugen, sondern auch um einfache Missverständnisse zu vermeiden. Man läuft somit Gefahr, dass die Sprachfertigkeit über die eigentliche Kompetenz eines Politikers gesetzt wird. Jene Redner wiederum, welche die Sprachfertigkeit aufgrund der Übereinstimmung ihrer Muttersprache mit der Arbeitssprache besitzen haben diesen Nachteil nicht und somit ihren Kollegen gegenüber einen entscheidenden Vorteil. Schließlich fühlt sich ein jeder in seiner eigenen Sprache viel sicherer.  

Wir dürfen eines nie vergessen - Die verschieden Kulturen sind das, was Europa seit vielen Jahrzehnten ausgezeichnet. Jede Sprache zeigt eine andere Sicht auf die Welt. Daraus resultiert letztendlich die allseits gelobte Ideenvielfalt in der EU. Mit der Festlegung einer einzigen Arbeitssprache würden wir genau diese Stärke in Frage stellen. Auch wenn die Anhänger eines Europas mit einer Arbeitssprache dazu neigen, das Vorgehen auf administrative Ebenen zu beschränken, darf eine solche Reform nicht unterschätzt werden. Sprachpolitik sowohl auf nationaler, als auch auf supranationaler Ebene hat immer linguistische Auswirkung. Eine Sprache, die keiner braucht, stirbt aus! Die Vielzahl an Sprachen in der EU  darf auf keinen Fall als „babylonischer“ Pluralismus betrachtet werden. Die Länder werden dadurch nicht voneinander isoliert, ganz im Gegenteil: “Real unity of cultures and species is found in their very diversity“, wie es der kenianische Schriftsteller Nugi W Thiong’o einst formulierte. Wir müssen einfach lernen die Vielsprachigkeit als Chance und nicht als Last zu betrachten, schließlich ist sie mehr als eine einfache Kodierung.

Es ist doch fast schon ironisch, dass einerseits die EU verstärkt die Vielsprachigkeit in den Schulen der einzelnen Länder fördern will, auf der anderen Seite aber über die Einführung einer einzigen Arbeitssprache debattiert. Die Argumente für eine solche Sprachreform sind viel mehr finanziell und pragmatisch begründet, als auf dem Interesse der europäischen Bürger basierend. In diesem Zusammenhang ist es sicherlich richtig zu sagen, dass die für die Übersetzung anstehenden 800 Mio. € eine enorm hohe Summe darstellen. Dennoch handelt es sich dabei um weniger als 1% des EU-Haushalts. Anders als eine kürzlich geführte Debatte über die Reinigungskosten für die Gebäude der EU können und dürfen Ausgaben, die zur Erhaltung und Förderung der Sprachenvielfalt in Europa beitragen nicht als Last gesehen werden.  In diesem Sinne: Ilteangachas an Aontais Eorpaigh go bráth!